Normalerweise bin ich mit Alma unterwegs, sie führt mich auf meinen täglichen Wegen, findet jede Ampel und lotst mich souverän durch ganz Deutschland. Doch manchmal hat auch Alma frei, dann greife ich zum Langstock und seit Kurzem noch zu etwas anderem: zu einer App, die mir wortwörtlich den Weg klopft. Die sichere Orientierung im öffentlichen Raum ist für blinde und sehbehinderte Menschen eine tägliche Herausforderung. Zwar ist der Langstock ein verlässlicher Begleiter, doch in der Realität lauern zahlreiche Stolperfallen: schräg abgestellte E-Roller, tief hängende Äste, Werbeschilder auf Gehwegen oder plötzlich auftauchende Baustellen. Alles, was der Stock nicht ertastet, wird schnell zur Gefahr. Genau hier setzt diese neue App an: SmartAIs, entwickelt von einem jungen Team in München. Sie will mithilfe künstlicher Intelligenz Hindernisse in Echtzeit erkennen und dem Nutzer akustisch mitteilen, wo sich diese befinden. Seit einigen Wochen darf ich als Betatester Teil dieses spannenden Projekts sein. In diesem Beitrag möchte ich erzählen, wie sich mein Alltag mit der App verändert hat, welche Erfahrungen ich bisher gesammelt habe und welche Rückmeldungen ich dem engagierten Entwicklerteam geben konnte.
Was ist SmartAIs?
SmartAIs (gesprochen wie die cleveren Augen) ist eine App zur Hinderniserkennung, speziell entwickelt für blinde und sehbehinderte Nutzerinnen und Nutzer. Das Besondere: Es braucht keine zusätzliche Spezialhardware. Ein iPhone ab Modell 12 Pro, eine passgenaue Brusttasche zur stabilen Befestigung und ein Paar Knochenschallkopfhörer, mehr ist im Standardsetup nicht nötig.
Wie funktioniert die App?
SmartAIs ist vollständig barrierefrei, mit VoiceOver nutzbar und kann ohne sehende Hilfe eingerichtet werden. Nach der Einrichtung nutzt die App die Kamera und den LIDAR Sensor des Smartphones, um Hindernisse vor dem Nutzer zu erkennen. Eine KI analysiert das Bild in Echtzeit und gibt über Kopfhörer akustische Signale aus, je nachdem, wo sich ein Hindernis befindet: links, rechts oder direkt voraus. Dabei handelt es sich bewusst nicht um Sprache, sondern um rhythmisches Klopfen. So bleibt das akustische Umfeld frei und der Nutzer wird nicht durch Worte abgelenkt. Je näher das Hindernis kommt, desto schneller wird das Klopfen, ähnlich wie bei einer Einparkhilfe im Auto. Wenn sich ein Objekt direkt vor dem Nutzer befindet, ertönt das Signal beidseitig gleichzeitig. Diese Art der Rückmeldung hat sich bei den ersten Tests als die sinnvollste herausgestellt und ist erstaunlich intuitiv.
Was macht SmartAIs besonders?
Im Gegensatz zu vielen anderen Hilfsmitteln verzichtet SmartAIs auf ständige Sprachausgabe, komplexe Menüführung oder Internetverbindung. Die Signale sind klar, direkt und nicht störend, für mich ein großer Vorteil.
Wie nutze ich SmartAIs?
Ich verwende SmartAIs mit meinem iPhone 16 Pro, das dank seiner starken Kamera und schnellen Prozessorleistung ideale Voraussetzungen mitbringt. Das Gerät trage ich dabei nicht in der Hand, sondern in einer vom Entwicklerteam selbst entwickelten und bereitgestellten Brusttasche, die das iPhone stabil auf Brusthöhe fixiert. So hat die Kamera einen guten Blick auf den Gehweg und ich beide Hände frei.
Die akustischen Signale höre ich anders als vom Entwicklerteam angedacht nicht über Knochenschall-Kopfhörer, sondern über eine Open-Ear-Kopfhörer-Lösung, die in meine Sonnenbrille integriert ist.
Diese Lösung hat sich im Alltag für mich als besonders angenehm erwiesen, da ich ohnehin eine Sonnenbrille trage. Auch bleiben genau wie mit Knochenschall-Kopfhörern meine Ohren frei für Straßenverkehr, Ampelsignale oder Gespräche und ich nehme die Signale der App dennoch klar und zuverlässig wahr.
Warum ist SmartAIs trotz Blindenführhund interessant?
In den meisten Situationen führt mich meine Blindenführhündin Alma zuverlässig durch die Stadt. Doch es gibt Momente, in denen sie nicht mitkommt, sei es wegen zu viel Trubel, zu enger Wege oder schlicht, weil es für sie nicht geeignet ist. Dann greife ich zum Langstock und bin froh, SmartAIs als zusätzliche Unterstützung dabei zu haben. Ein gutes Beispiel ist der Weg zum Showdown-Training. Die laute, sportliche Atmosphäre dort ist nichts für Alma, also bleibt sie zu Hause. Mit Stock und SmartAIs finde ich sicher zum Trainingsort, gerade da mir rund um den BBSB meist zu viele Menschen unterwegs sind und häufig Dinge auf dem Fußweg abgestellt werden. Ähnlich hilfreich ist die App, wenn ich mich nach einem langen Arbeitstag mit Freunden in einer belebten Bar treffe. Gerade dann, wenn die Konzentration nachlässt, hilft SmartAIs mir, Hindernisse wie herumstehende Stühle, Taschen oder flatternde Absperrbänder frühzeitig zu erkennen. In solchen Momenten ergänzt die App den Langstock perfekt und gibt mir das gute Gefühl, auch ohne Alma sicher unterwegs zu sein.
Erste Eindrücke im Alltag
Schon in der aktuellen Betaversion überzeugt mich SmartAIs durch Alltagstauglichkeit. Besonders positiv aufgefallen sind mir drei Dinge: die Klarheit der Signale, die schnelle Reaktionszeit und die präzise Richtungserkennung. Ich kann sehr genau einschätzen, ob sich ein Hindernis links, rechts oder mittig befindet. Gerade auf engen oder verwinkelten Wegen erhöht das meine Sicherheit spürbar. Ein einprägsamer Moment war ein Spaziergang durch ein Wohngebiet. Die App meldete ein Hindernis auf der linken Seite. Das Klopfen wurde schneller, ich wich leicht nach rechts aus und kam problemlos vorbei. Ein Passant sprach mich kurz darauf an, er war kurz davor mich zu warnen, als er meine Ausweichbewegung sah. Ich erklärte ihm, wie die App funktioniert und ließ mir zeigen, wo das Problem war: eine offenstehende Klappe an einem Altkleidercontainer. Mit dem Stock hätte ich den Container zwar ertastet, aber sicher nicht die Klappe auf Schulterhöhe. Die Wahrscheinlichkeit, dagegen zu laufen, wäre hoch gewesen.
Wo liegen die Grenzen – und warum ist die Betaphase so wichtig?
Natürlich gibt es auch Grenzen. In komplexen Umgebungen wie Bahnhöfen mit vielen bewegten Personen kann es zu Fehlsignalen kommen. Auch sehr kleine Objekte oder schwierige Lichtverhältnisse sind noch eine Herausforderung. Doch genau deshalb ist die Betaphase so entscheidend: Unsere Rückmeldungen helfen dabei, die Algorithmen zu verbessern, die Objekterkennung zu verfeinern und neue Funktionen zu entwickeln.
Das Entwicklerteam ist offen, konstruktiv und schnell in der Umsetzung von Feedback. Man merkt deutlich, dass hier nicht an Nutzern vorbei entwickelt wird, sondern mit ihnen. Genau das macht Mut und Hoffnung.
Ein Wort zum Datenschutz
Alle Bilddaten werden lokal auf dem Gerät verarbeitet. Es wird nichts ungefragt ins Internet übertragen. Das macht die App nicht nur datenschutzfreundlich, sondern auch unabhängig vom Mobilfunknetz, ein echtes Plus in Sachen Alltagstauglichkeit.
Mein Feedback an das Team
Einige Ideen habe ich bereits weitergegeben, etwa die Möglichkeit, verschiedene Hindernisarten mit unterschiedlichen Signalen kenntlich zu machen. Ein besonderer Ton für Treppen, Bahnsteigkanten oder Ampeln könnte helfen, Gefahren von Zielen besser zu unterscheiden. Spannend wäre auch eine Kombination aus akustischem und haptischem Feedback, zum Beispiel über einen FeelSpace-Gürtel. Das würde SmartAIs noch flexibler machen, etwa für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen oder in sehr lauter Umgebung. Auch einstellbare Modi wären hilfreich: Auf dem Weg zur Arbeit oder zum Sport möchte ich möglichst viele Hindernisse erkennen, beim Spaziergang mit Alma hingegen nur die relevanten. Ein einfacher Moduswechsel etwa zwischen „Vollmodus“ und „Gefahrenmodus“ würde die App noch individueller nutzbar machen.
Fazit
SmartAIs hat das Potenzial, die Mobilität und Sicherheit blinder Menschen spürbar zu verbessern. Die App ist keine Zukunftsvision, sondern bereits heute ein funktionierender Ansatz, ganz ohne Spezialhardware, einfach mit dem eigenen Smartphone, einer bequemen Tasche und einem Kopfhörer. Dass alles lokal verarbeitet wird, die App vollständig barrierefrei ist und keine Daten ungefragt ins Netz überträgt, macht sie auch aus Datenschutzsicht bemerkenswert. Ich freue mich sehr, Teil dieser Entwicklung zu sein, nicht nur, weil ich gerne neue Technologien ausprobiere, sondern weil ich konkret erlebe, wie diese App meinen Alltag sicherer, entspannter und unabhängiger macht. Wann SmartAIs offiziell erscheinen wird, steht noch nicht fest, die App befindet sich derzeit in der geschlossenen Betaphase. Ich bin gespannt, wie sie sich weiterentwickelt und werde natürlich berichten, sobald es Neuigkeiten gibt.
bei dieser "Echtzeitüberwachung" ist der iphone-Akku aber spätestens nach 3 Stunden leer!?
ich verstehe nicht, wozu man eine Hinderniserkennung braucht: Jedes Hindernis, das sich vor mir befindet, ertaste ich mit dem Stock. Interessant wäre für mich allenfalls die Erkennung von Hindernissen in Kopfhöhe, aber die ständige Klopferei möchte ich mir ersparen, weil mir in 35 Jahren Blindheit noch kein Hindernis in Kopfhöhe begegnet ist.
Mein größtes bisher ungelöstes Problem ist, dass es mir selten passiert, dass ich Bordsteinabsenkungen nicht registrierer und dann eine Straße betrete. Gib doch diese Problembeschreibung bitte an die Entwickler weiter.
Danke und Gruß,
Achim
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Hallo Achim,
danke für deine Rückmeldung! Ich sehe das etwas anders und möchte dir kurz schildern, warum ich SmartAis als hilfreich empfinde:
In meinem Alltag stoße ich, wie bereits im Beitrag beschrieben, häufiger auf Hindernisse, die mit dem Blindenstock entweder gar nicht oder zu spät wahrnehmbar sind – zum Beispiel eine offenstehende Klappe an einem Altkleidercontainer, Baustellen, die nur mit einem Flatterband abgesperrt sind, oder abgestellte Fahrräder und E-Roller mitten auf dem Gehweg.
Auch das von dir beschriebene Akkuproblem konnte ich mit meinem iPhone nicht ausmachen, hier wird man frühzeitig informiert sobald der Akku die 20% Marke unterschreitet, was in meinen Tests erst nach über drei Stunden nutzung der Fall war.
Positiv zu erwähnen ist auch die in einem der letzten Updates neu hinzugefügter Abgrundwarnung, die frühzeitig vor Abgründen, wie Treppen, Bahnsteigkanten etc. warnt.
Eine Möglichkeit auch bei abgeflachten Bordsteinkanten zu warnen, weiß ich nicht wie dies realisierbar wäre, doch ich gebe diese anregung gerne an das Team weiter.
LG
Stephan
vielen Dank für deinen ausführlichen Einblick in SmartAIs. Es ist beeindruckend zu sehen, wie praxisnah die App den Alltag von blinden und sehbehinderten Menschen unterstützen kann – und das ohne zusätzliche Spezialhardware. Besonders spannend finde ich, wie intuitiv das akustische Klopfen funktioniert und wie gut es sich mit dem Langstock oder einem Blindenführhund kombinieren lässt. Deine Beispiele aus dem Alltag zeigen sehr anschaulich, wie sinnvoll die App in wirklich herausfordernden Situationen ist.
Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg beim Testen und Entwickeln, und dass SmartAIs bald noch mehr Menschen Sicherheit und Unabhängigkeit im Alltag ermöglicht.
Liebe Grüße,
Saskia Katharina
herzlichen Dank für deinen wunderbaren Kommentar und deine aufmerksame Rückmeldung zum Beitrag!
Es freut mich sehr, dass dich die Möglichkeiten von SmartAIs
genauso faszinieren wie mich, gerade weil die App zeigt, wie viel durch clevere Software allein mit einem Smartphone möglich ist, ganz ohne zusätzliche
Geräte.
Dass du das akustische Klopfen und die Kombinierbarkeit mit dem Langstock besonders attraktiv findest, finde ich gut, genau diese Alltagstauglichkeit ist für viele Nutzerinnen und Nutzer ein echter Mehrwert.
Ich hoffe sehr, dass die App in Zukunft noch weiter verbessert und bald öffentlich verbreitet wird, damit sie möglichst vielen Menschen ein Stück mehr Sicherheit und Selbstständigkeit ermöglicht.
Danke auch für deine guten Wünsche, ich bleibe dran und halte euch gern weiter auf dem Laufenden!
LG
Stephan
Liebe Grüße
Jana
vielen Dank für deinen Kommentar.
Ich musste bei deiner Bemerkung zu Alma wirklich schmunzeln! 😊 Ja, sie darf sich ab und zu mal eine kleine Auszeit gönnen, wobei sie natürlich nach wie vor unersetzlich ist.
SmartAIs ist eine tolleErgänzung, aber ersetzt (zumindest bisher) keine echte Assistenz auf
vier Pfoten.
Die Kombination aus Brusttasche, Kopfhörern und der smarten Sonnenbrille hat sich für mich tatsächlich als ziemlich alltagstauglich erwiesen. Es freut
mich, dass dir diese kleinen Details aufgefallen sind, oft machen genau solche praktischen Kniffe den Unterschied.
Und ja, ich hoffe ebenfalls, dass das Entwicklerteam einige der angesprochenen Verbesserungsvorschläge aufgreift. Die App hat definitiv großes Potenzial,
noch besser zu werden!LG
Stephan